SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ An dieses Lied von Reinhard Mey denke ich jetzt oft. Grenzen sind in Europa plötzlich wieder ein Thema. Mit ihrem Brexit wollen die Briten wieder Grenzen um sich herum aufrichten. Und die Flüchtlinge werden wieder von Grenzen draußen gehalten.

Andererseits fahren viele jetzt in den Urlaub. Sie genießen die grenzenlose Freiheit! Keine Kontrolle an der Grenze nach Frankreich, Holland oder Dänemark. Oder sie setzen sich in den Flieger und heben ab. Bis über die Wolken. Da, wo gar keine Grenzen mehr zu sehen sind. Und dann weit weg – dahin, wo das Leben leicht und schön ist. Und wenn es nur für eine Woche ist.

Grenzenlos frei. Unbeschränkt über mein Leben bestimmen. Wie ein König in meinem eigenen kleinen Reich. Gerade jetzt in der Ferienzeit träumen davon viele. Einfach abheben. Alles zurücklassen. Sehen, wie alles klein und unwichtig wird, was sich breit macht.

Aber was heißt das im Alltag: grenzenlose Freiheit? Ist es wirklich gut, wenn sich alle Grenzen auflösen? Wird dann nicht alles egal? Und kann dann jeder einfach machen, was er will? Das geht schließlich nicht. Ich muss mich anpassen. Das müssen die anderen ja auch. Freiheit hat eine Grenze. Aber wann wird die Grenze zu eng? Wann wird aus dem Schutz ein Zwang?

Ja, Grenzen geben Sicherheit. Aber sie schränken auch ein. Grenzen zeigen ganz deutlich, was zu mir gehört. Dann weiß ich Bescheid. Aber Grenzen können auch missbraucht werden. Wenn andere meine Grenzen festlegen. Wenn ich nicht mehr selber bestimmen kann, was gut ist für mich. Und wehe, ich überschreite die Grenze, die andere festgelegt haben!

In Europa sind die Grenzen schon seit Jahren offen. Jetzt haben manche Angst davor, dass zu viele kommen und zu vieles, was sie gar nicht wollen. Deshalb möchten viele die Grenzen wieder hochziehen.

Aber wollen wir wirklich zurück? Wir hatten einmal Kontrollen nicht nur an den Landesgrenzen, sondern auch  innerhalb von Deutschland. Die deutsch-deutsche Grenze, die seit 26 Jahren endlich überwunden ist. Und noch früher, da hat man Papiere gebraucht und musste Zoll bezahlen, wenn man zum Beispiel von Mannheim nach Stuttgart wollte oder von Ulm nach Mainz. Heute können junge Menschen in ganz Europa studieren und arbeiten. Und ältere Menschen können sich in einem anderen europäischen Land niederlassen.

Grenzen oder Freiheit – kann man sich wirklich einfach für eins von beiden entscheiden? Alle Grenzen hinter sich lassen – oder sich hinter hohen Zäunen einigeln?

Ich glaube: Wir sind gerade an einem Punkt, wo wir alle zusammen darüber reden müssen.

 II

Vielleicht kann uns ein Satz aus der Bibel dabei helfen: „Gott schafft deinen Grenzen Frieden“, heißt es da einmal.

Das finde ich einleuchtend: Wenn an den Grenzen Frieden ist, dann kann man zwischen diesen Grenzen sicher und ruhig leben. Keine feindliche Armee kann Krieg und Zerstörung ins Land bringen. Und auch als einzelner Mensch muss ich nicht Angst davor haben, dass andere mir etwas aufzwingen, was ich gar nicht haben will – oder mir sogar Gewalt antun und mich bedrohen. Frieden an den Grenzen macht frei.

Aber ich meine: Frieden an den Grenzen – das ist etwas anderes als waffenstarrender misstrauischer Grenzschutz. So ein Misstrauen kann ich ja auch als einzelner Mensch entwickeln. So ein Misstrauen gegenüber allem, was fremd ist. Aber so wächst kein Frieden. Frieden entsteht, wenn Menschen sich frei bewegen, ohne Angst, ohne Misstrauen.

Die Bibel sagt, dass Gott diesen Frieden schafft. Aber wie tut Gott das? Frieden fällt ja nicht einfach vom Himmel. Gott schaut, wo jemand in Not ist, sagt der biblische Psalm. Er heilt die zerbrochenen Herzen und richtet die Elenden auf. Er kümmert sich darum, dass Menschen und Tiere genug zu essen haben. Nicht einmal die jungen Raben vergisst er!

Frieden ist also nicht schon dann, wenn keiner mehr angreift. Sondern richtiger Frieden, der ist dann, wenn alle das haben, was sie brauchen. Darum will Gott sich kümmern. Und wir Menschen sind gewissermaßen seine Handlanger. Was können wir dafür tun, Sie und ich? Was können wir dazu beitragen, dass dieser Friede kommt – und dass er bleibt?

Ich möchte versuchen, mehr auf die Grenzen der anderen zu achten. Das sind unsichtbare Grenzen. Aber man kann sie spüren.

Grenzenlose Freiheit – die gibt es nur über den Wolken. Hier unten auf der Erde müssen wir mit den Nachbarn zurechtkommen. Aber Nachbarn, das sind heute bald alle Menschen auf der Welt. Die Entfernungen sind klein geworden. Wir haben miteinander zu tun. Plötzlich auch mit Leuten, die ich nicht verstehe. Die mir fremd sind. Im Urlaub ist das interessant. Zuhause ist es einfach nur fremd.

Aber das ist für die Fremden unter uns ja genauso! Die sind genauso verunsichert, fühlen sich einfach nur fremd. Doch ich habe erlebt: Wenn wir miteinander ins Gespräch kommen, dann entdecken wir Gemeinsames. Schon ein freundlicher Gruß, ein paar nette Worte reichen. Dann bleiben immer noch Grenzen. Aber an denen ist Frieden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22384
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