SWR2 Wort zum Tag

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Es ist manchmal ein Kreuz mit der Dankbarkeit. Oft ist es doch wie in der Geschichte, die Lukas in der Bibel erzählt:

Man hätte womöglich guten Grund, dankbar zu sein, aber dann legen sich andere Lebensgefühle darüber. Ich sehe schnell und sehr präsent die kritischen Seiten des Lebens. Entwicklungen in der Gesellschaft ärgern mich, belasten oder machen Sorgen. Dass ich viel mehr Grund habe, dankbar zu sein, danach muss ich fast immer zuerst ein wenig schürfen, wie nach einem Schatz. Ich finde dann ziemlich rasch, wofür ich dankbar bin. Aber zum Ausdruck kommt es selten automatisch. Wie in der Geschichte im Neuen Testament:

Jesus begegnet dort 10 Männern. Sie sind alle ansteckend krank und darum sozial stigmatisiert. Sie müssen außerhalb des Ortes leben, ausgeschlossen von der Dorfgemeinschaft. Als Jesus sich ihnen nähert, flehen sie ihn um Hilfe an. Und tatsächlich, alle werden gesund. Neun von den 10 machen sich umgehend davon, zurück in ihr soziales Umfeld. Nur einer kehrt noch einmal zu Jesus zurück. Geht quasi den Umweg der Dankbarkeit: Aber vielleicht ist dieser Umweg gerade wegweisend für sein weiteres Leben? Er bedankt sich bei Jesus. Der wundert sich: „Wart ihr vorhin nicht zehn? Und jetzt, kommst Du allein.“ (Lukas 17,11ff)

Soweit die Geschichte aus der Bibel.

Es gibt aber noch ein weiteres Kreuz mit der Dankbarkeit. Da ist einer nun vielleicht dankbar. Ist mit sich, der Welt und auch mit Gott im Reinen – wie der Geheilte in der Geschichte. Aber: Dankbarkeit braucht nur wenig um zu kippen und man wird selbstzufrieden und selbstgenügsam. Dass es mir gut geht, scheint einem wie naturgegeben. Oder: „Das habe ich mir doch verdient.“ Das christliche Bild vom Menschen hofft darauf, dass Dankbarkeit nicht umkippt, sondern dass sie andere Folgen hat. Dass sie nicht bei mir selbst bleibt, sondern über mich hinausweist und -wirkt. Das christliche Menschenbild hegt die Hoffnung: Es müsste doch möglich sein, dass ein Mensch, dem es gut geht, dass der weitsichtig und weitherzig wird. Dass man dankbar offenporig wird und sieht, wenn es Menschen in der Nähe und Ferne schlecht geht. Wo Menschen Lebensmöglichkeiten abgehen und Unrecht geschieht. Das christliche Menschenbild hofft, dass ich ethisch und moralisch verantwortlich handele, nicht aus schlechtem Gewissen. Dass Ethik nicht entsteht aus dem Druck, die Welt retten zu wollen. Oder auf dem Druck, dass ich vor mir und andern ein „guter Mensch“ sein will. So überfordert man sich. Sondern dass Ethik aus Dankbarkeit wächst. Dann ist sie kein Kreuz mehr, sondern tut gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22310
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