SWR2 Zum Feiertag

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"Zu Pfingstmontag" - ein Gespräch zwischen dem evangelischen Rundfunkpfarrer Wolf-Dieter Steinmann und Anna Katharina Hahn, Autorin und Schriftstellerin aus Stuttgart.

Anna Katharina Hahn

Steinmann:
Frau Hahn, in einer Kolumne, die Sie schreiben, haben Sie sich selbst charakterisiert: Als „Schriftstellerin - das Buch „Das Kleid meiner Mutter“ ist gerade ihr aktuelles - als Literaturwissenschaftlerin, als Christin und als Mutter“. Und in all diesen 4 Perspektiven Ihres Lebens liegt Ihnen immer „Europa“ am Herzen. Und darüber wollen wir reden und über Pfingsten und das miteinander verbinden und deswegen reden wir über den europäischen Geist. „Europa“ ist ja mehr als Geographie. Europa das ist für mich reiche, auch leidvolle Geschichte und vor allem aber auch Ideen, Werte wie Offenheit, Hoffnung auf Frieden und Versöhnung nach dem 2. Weltkrieg. Aus welchen Quellen speist sich für Sie der „Geist Europas“?

Hahn:
Als Schriftstellerin würde ich sagen: die Quellen Europas, das sind für mich vor allem Bücher, aus denen der Geist Europas kommt. Bücher, die diesen Kontinent, diese vielen verschiedenen Länder, geprägt haben und ich würde dann schon ganz konservativ nach Griechenland und Rom erst mal gehen und die antiken Mythen, Homer, das griechische antike Theater und dann die Bibel. Das ganze christliche Mittelalter in seiner Gewalt, in seiner unglaublichen Kunst, Schönheit und Herrlichkeit und dann die Moderne.
D
ie Bibel natürlich ja auch, weil sie uns verschwistert mit dem Judentum und dem Islam, die in der Geschichte Europas immer eine Rolle gespielt haben. Auch wenn man mit diesen Religionen - mit denen wir doch so viel teilen in unserem Alten Testament – blutig sich bekriegt hat und Schreckliches sich angetan hat. Aber wir waren in Europa doch immer irgendwie zusammen.
Der Geist Europas, das sind für mich schon einzelne Epochen, die der Kontinent auch in der Literaturgeschichte teilt. ZB. die Romantik, die ja in allen europäischen Ländern irgendwie eine Rolle gespielt hat, die Aufklärung genauso und genauso die Moderne. Wie Europa sich industrialisiert hat und wie die Menschen darauf reagiert haben. Wie die Kunst darauf reagiert hat und das irgendwie verarbeitet.

Steinmann:
Also der europäische Geist ist unglaublich angefüllt. Und Pfingsten passt da sehr gut rein, weil da erzählt wird, dass in Jerusalem praktisch die ganze antike Welt versammelt ist. Und dieses erstaunliche Erlebnis machen, dass eine Sprache gefunden wird, in der sich unterschiedliche Völker trotzdem verstehen und zu einer versöhnten Gemeinschaft zusammen finden. Das ist für mich ein ganz ganz starkes Symbol für Europa, obwohl es außerhalb von Europa gespielt hat.

Hahn:
Pfingsten ist ja auch der reine Geist, der über die Menschen kommt und sie begeistert. Und ich glaube, wenn wir jetzt so metaphorisch eine Brücke schlagen zwischen dem Geist Europas und dem pfingstlichen Geist, glaube ich, dass eine Begeisterung für Europa bei aller Angst und allen Zweifeln, die im Moment vorhanden sind und die in meinem Augen vielleicht  – übertrieben will ich nicht sagen –  es gibt ja abgesehen von den Flüchtlingsproblemen und den schrecklichen Sorgen, die die Menschen, die da kommen, haben, und die Menschen, die hier sind, auch. Gibt es ja auch noch andere Probleme. Gerade in Südeuropa ist diese Finanzkrise noch lange nicht überwunden. Es gibt eine ganz hohe Jugend- und sonstige Arbeitslosigkeit, von der nicht mehr viel gesprochen wird. Und trotzdem, es ist einfach großartig, dass wir schon so lange in Frieden miteinander leben und dass wir so viel teilen. Mir ist es bewusst geworden, als ich in den USA war. Da war ich in einem Restaurant mit meiner Familie, das war ein griechisches Lokal. Wir haben uns dann auf englisch unterhalten, gefragt:  ‚ja wo kommst Du her, wo kommst Du her?‘ Und es war ganz klar, wir sind Europäer in New York. Da habe ich erst mal gemerkt: Wir sind anders, wir kommen aus diesem „alten“ Europa und haben andere Vorstellungen auch vom Leben. Nicht dass sie besser sind oder schlechter wären. Aber das eint dann auch Griechen und Deutsche.

 

Steinmann:
Wie erleben Sie es? Ist der europäische Geist lebendig, ist er kraftlos, ist er schon fast tot ? Machen Sie sich mehr Sorgen oder haben Sie mehr das Gefühl, ja, da ist noch Kraft da?

Hahn:
Also ich bin eigentlich von so Angstgerede nicht leicht anzugreifen, weil ich eben an diese Kraft glaube. Natürlich mache ich mir Sorgen, mir gefällt es überhaupt nicht, dass Europa in „rechts und links“ wieder zerfällt, dass es eben nationalistische Bewegungen aller Art gibt. Aber demokratische Prozesse sind immer mit sehr viel Kompromiss verbunden. Sie sind mit viel Reden, mit viel Probleme auf den Tisch legen, mit Diskussion, mit Streit verbunden und wir sind nicht gleich. Die osteuropäischen Länder Europas kommen aus der ehemaligen Sowjetherrschaft und die haben ein ganz anderes Verhältnis zu Fremdheit, auch zu den Flüchtlingen, die jetzt kommen. Wenn Sie das nicht wollen, weil sie sich fürchten vor dem Islam, vor dem Fremden. Die haben eine ganz andere Geschichte. Und wir müssen das nicht unbedingt verstehen, aber wir müssen mit ihnen darüber reden, immer wieder und uns auseinandersetzen miteinander.
Und ich glaube, dass gerade Kunst und Kultur und die Religionen, alle, grade die 3 großen, Judentum, Christentum und Islam, dass wir dazu auch berufen sind, im Gespräch miteinander zu bleiben, dass wir die Gemeinsamkeit aufzeigen müssen, das was uns verbindet. Das ist eine Aufgabe, die wir da ganz besonders haben.

Steinmann
Ich komme noch mal zurück auf den Anfang auf Ihre Selbstcharakterisierung als „Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin, Christin, Mutter“. Warum ihnen Offenheit und dieser Geist Europas so wichtig ist als Schriftstellerin, haben Sie schon gesagt. Jetzt würde es mich noch interessieren: Warum ist es Ihnen denn als Mutter so wichtig?

Hahn:
Ja ich möchte natürlich, dass meine Kinder eine gute Zukunft haben und das kann man nur einer freien demokratischen Gesellschaft. Und ich möchte keine Soldaten groß ziehen, ich möchte nicht, dass meine Kinder das erleben, wovon meine Eltern und Großeltern erzählen. Dieses Europa ist ja für viele Menschen das Paradies auf Erden, weil es Frieden und Freiheit hier gibt und weil man hier auch anständig leben kann. Das wünsche ich mir für meine Kinder und für die Kinder anderer genauso. Dass es einfach weitergeht, dass wir unsere Freiheit genießen können mit gutem Gewissen. Und als Schriftstellerin bin ich natürlich gespeist aus internationalen Quellen.
Ich bin verwandt mit Autoren auf der ganzen Welt, die ich lese und verarbeite, die ich großartig finde und die meine Vorbilder sind. Aber ich bin natürlich ganz tief im Geflecht meiner eigenen Muttersprache drin und komm da nicht raus und seh da die Schwierigkeiten: So viele Länder, so viele Sprachen. Wir sind keine USA in Europa, wir müssen unsere Eigenheiten und unsere Geschichte akzeptieren und miteinander klar kommen. Aber es muss Dinge geben, bei denen wir mit einer Stimme sprechen, unverhandelbare Werte.

Steinmann:
Kommen wir noch mal zu Pfingsten im engeren Sinn zurück. Pfingsten bestimmt wo Kirche herkommt und wozu sie gut ist. Sie hat von Anfang an einen versöhnenden, einen Auftrag, Liebe weiterzutragen, weil sie nämlich von Jesus herkommt und weil sie den Geist Jesu weitertragen soll und weil sie ihn vielleicht sogar auch verkörpern soll. Wie können Christen und Kirchen den europäischen Geist beleben?

Hahn:
Also grade wir als Christen sollten uns mit mehr Begeisterung auf das besinnen, was wir haben. Ich glaube, dass wir gar nicht mehr so genau wissen, was wir Tolles und Großartiges haben und wie stark wir uns in Sicherheit wiegen. Es gibt doch dieses wunderbare Kirchenlied: „Wach auf du tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit.“ Und ich habe schon das Gefühl, wir sind schon ein bisschen verschlafen und gewöhnt daran, ‚ja wir haben die Bibel‘, aber kennen wir sie wirklich? Können wir diese ganzen herrlichen, erfüllenden und auch streitbaren, einen ärgernden Bücher der Bibel. Dass man die mal wieder neu liest. Hier haben wir ein tolles Buch, was auch durchaus nicht allein gelesen werden sollte, sondern mithilfe von Übersetzungen und im Gespräch und mit Menschen zusammen, die sich dafür begeistern und nicht allein. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und „wer nicht für mich ist, ist gegen mich“, das sind ja auch schwierige Stellen. Dass man in der Gemeinschaft darüber redet, dass man auch sich klar wird, wie stark wir auch schon eine entmystifizierte Bibel haben. Wir haben ja Darwin, wir haben Nietzsche, wir haben naturwissenschaftlich Auseinandersetzungen mit den Schöpfungsgeschichten. Das ist was, was man immer als Subtext auch lesen muss. Und ich glaube, dass keine der beiden Kirchen die Auslegungshoheit haben sollte so wie im Mittelalter in der vorlutherischen Bibelübersetzung. Das finde ich gefährlich, also das will ich auf keinen Fall sagen. Ich glaube einfach an die Freiheit des Geistes auch und an die eigenen Gedanken.

Steinmann:
Sie weisen darauf hin, dass es Hermeneutik geben muss. Worte wie Liebe, Versöhnung, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, das sind so die orientierenden Grundgedanken und dann kommt man ja auch wieder darauf zurück, dass Sie am Anfang gesagt haben, das ist eigentlich auch ein zutiefst „europäisches“ Buch.

Hahn: Ja und auch ein internationales dann wieder. Es verbindet so viele Dinge. Es weist ja auch hinaus über Europa zur Wiege unseres Glaubens und zur Wiege der großen monotheistischen Religionen. Ich glaube, dass man mit der Erneuerung der Grundgedanken des Christentums und einfach auch mit einer Begeisterung für unser Buch sehr viel erreichen könnte. Genau lesen und miteinander das tun.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22002
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