SWR4 Sonntagsgedanken

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Jeder hat das Recht auf Arbeit. So heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Artikel 23. Dort ist noch mehr festgelegt: Jeder Mensch hat das Recht, sich seinen Beruf selbst auszusuchen. Die Arbeitsbedingungen sollen Menschen nicht kaputt machen. Für gleiche Arbeit muss gleicher Lohn gezahlt werden – und dieser Lohn soll eine menschenwürdige Existenz sichern. Und schließlich: Jeder darf in einer Gewerkschaft für all diese Rechte kämpfen.

Aber heute ist Sonntag, sagen Sie jetzt vielleicht. Und deshalb haben wir vom 1. Mai dieses Jahr ja nicht mal was. Am Sonntag wollen wir nicht über die Arbeit reden.

Na gut, dann reden wir über die Bibel. Dort steht aber schon im 2. Kapitel, dass der Mensch sogar im Paradies gearbeitet hat. In dem Garten, den Gott ihm geschenkt hat. Arbeiten gehört zum Menschsein. Aber leider leben wir nicht mehr im Paradies. Deshalb müssen die Menschen oft mühsam darum kämpfen, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Und dass die Arbeit sie nicht kaputt macht.

Das Recht auf Arbeit ist in Deutschland kein Gesetz. Manche sind viele Jahre lang arbeitslos. Und es stimmt einfach nicht, dass man eine Arbeit bekommt, wenn man nur eine sucht. Manche bleiben ewig in so genannten Maßnahmen stecken. Und auch die anderen Rechte sind immer noch nicht selbstverständlich. Frauen bekommen im Durchschnitt immer noch fast 8 Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Und wir haben zwar viele Arbeitsschutzregelungen. Doch Leiharbeitsfirmen schaffen es immer wieder, die zu umgehen.

Immerhin: Der Achtstundentag ist inzwischen normal und Freizeit und Urlaub sind geregelt. Aber das war ein langer, harter Kampf. Heute vor 130 Jahren sind die Arbeiter in Chicago und in vielen anderen Städten in Amerika erstmals dafür in den Streik getreten. Sie wollten einen Acht-Stundentag. Üblich waren damals noch 12 Stunden. Und der Lohn für diese 12 Stunden hat gerade für ein billiges Abendessen ausgereicht.

Damals in Chicago gab es Unruhen, Gewalt und Tote. Und dann wurden einige Männer willkürlich verurteilt und hingerichtet. Obwohl man ihnen gar nichts nachweisen konnte.

Zur Erinnerung daran gibt es den 1. Mai. Den Tag der Arbeit. Er soll an die Menschen erinnern, die dafür sterben mussten, dass man von seiner Arbeit leben kann. Auch wenn das kein kirchlicher Feiertag ist: In vielen Kirchen wird heute darum gebetet, dass die Arbeit von Gott gesegnet wird. Dass Gott den Menschen die Früchte schenkt, für die sie arbeiten. In einem Gebet aus der Bibel heißt es: „Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände.“

Gott hat uns das Leben geschenkt. Und Hände, mit denen wir für unser Leben arbeiten können. Das Recht dazu hat jeder Mensch. In der ganzen Welt.

II
In der Bibel wird oft beschrieben, wie Gott selbst arbeitet. Und der Mensch darf dann mitarbeiten. Gott macht einen schönen Garten und setzt den Menschen hinein. Der Mensch soll diesen Garten bebauen und bewahren. So soll menschliche Arbeit aussehen. Sie soll die Mühe lohnen. Von dieser Arbeit soll man leben können. Sie soll glücklich machen. Schließlich ist es ja das Paradies, in dem der Mensch da arbeitet!

Eine uralte Geschichte. Manchen erscheint sie heute wie ein Märchen. Und unter Paradies stellen wir uns bestimmt keine Arbeit vor! Paradies: das ist Urlaub! Endlich keine Arbeit mehr!

Aber warum? Ich glaube, Arbeit kann wirklich glücklich machen. Wenn ich was geschafft habe, dann bin ich zufrieden oder sogar stolz. Und es ist immer noch so: Wenn ich Arbeit habe, dann bin ich was. Ich kenne Menschen, die würden gerne arbeiten. Aber sie finden nichts. Sie haben die falsche Ausbildung oder nicht genug Ausbildung, sie sind zu alt oder zu krank – und so weiter. Diese Menschen arbeiten vielleicht ganz viel ehrenamtlich. Sie engagieren sich für andere. Oder sie pflegen ihre Angehörigen oder erziehen ihre Kinder. Ja, aber richtige Arbeit – nein, richtige Arbeit ist das nicht. Sagen die anderen. Die eine richtige Arbeit haben. Eine, mit der man Geld verdient. Aber ist Arbeit nur dann gut, wenn man Geld dafür bekommt?

Und auch mit dem Geldverdienen ist das so eine Sache. Wir müssen nicht erst in die Dritte Welt gucken – auch in Deutschland verdienen Menschen oft nicht genug für ihre Arbeit. Gerade bei den wichtigen Berufen wird gespart. Pflegen und Kinder erziehen: das wird nicht gut genug bezahlt. Außerdem sind gerade Altenpflegerinnen, Krankenschwestern und Erzieherinnen oft völlig überlastet.

Und da gucke ich nun wieder auf die alte Geschichte vom Paradies. Für mich ist das kein Märchen. Sondern ein Bild, an dem wir uns orientieren können. So hat Gott sich das vorgestellt! Und diesen Traum von einer Welt, die sehr gut ist, – den tragen doch eigentlich alle Menschen in ihrem Herzen. Bloß: viele haben ihn verschüttet. Aber ich möchte mir diesen Traum nicht nehmen lassen. Und ich möchte nicht, dass es ein Traum bleibt.

Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit. Auf eine Arbeit, von der er gut leben kann. Die ihn vielleicht sogar glücklich macht. Es ist noch ein weiter Weg bis dahin. Gut also, dass es den 1. Mai gibt – jedes Jahr, auch wenn nicht Sonntag ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21918
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