Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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 Im Krankenhaus will ich eine Patientin besuchen und stelle mich als Krankenhausseelsorgerin vor. Sie sieht mich skeptisch an. „Solange Sie mich nicht trösten wollen...“

„Versprochen!“ sage ich. „Ich werde Sie bestimmt nicht trösten.“
Sie lacht und ich darf mich zu ihr setzen. „Was ist denn so schlimm am Trösten?“ frage ich.

„Ach, die vielen Sprüche. Das ertrag ich nicht. Ich liege hier schon seit drei Monaten, wegen diesem blöden Keim, der sich da nach meiner Hüft O.P. eingenistet hat, und nicht mehr raus will…  Da kommt man schon an seine Grenzen, auch nervlich. Und dann die vielen Operationen: Hüftgelenk wieder raus, Platzhalter rein… - na, sie kennen das bestimmt schon.

Jedenfalls, neulich besucht mich eine Bekannte, die ist so ein bisschen fromm. Und die sagt doch glatt zu mir: Der Herrgott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann. Da fällt einem doch nichts mehr ein!“
 „Ja“, sage ich, „solche Sprüche sind kein Trost. Die machen es oft nur noch schlimmer. Wie haben Sie reagiert?“

„Ich war stinkwütend! Eigentlich wollte ich ihr an den Kopf knallen: Bei dir ist das vielleicht so… - Ich bin ja ziemlich direkt. Aber dann ist mir im letzten Augenblick wieder eingefallen, dass ihr Sohn vor vielen Jahren durch einen Motoradunfall ums Leben gekommen ist. Das war schrecklich! Und da habe ich mir eine Antwort verkniffen.“

 „Gut, dass Ihnen das eingefallen ist. Das hätte was auslösen können…“
„Oh, ja. Und dann wäre ich die Böse gewesen…“ Sie verzieht das Gesicht und wir müssen beide lachen.

„Mir ist die Geschichte aber noch lange nachgegangen“, sagt sie. „Der Herrgott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann… Also, ich mag den Spruch immer noch nicht. Aber vielleicht hat er ja meiner Bekannten damals geholfen, weil sie gläubig ist…“

„Das ist  gut möglich“, sage ich. „Aber es macht einen großen Unterschied, ob man so einen Satz zu sich selber sagt, oder zu einem anderen.“Sie nickt. „Aber ehe ich den Satz zu mir selber sagen würde, müsste Gott sich ganz schön was anhören von mir, das können Sie mir glauben!“ Sie sieht mich an. Sie können ihm aber ruhig ausrichten, dass es nett von ihm war, Sie zu schicken.“

 

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