Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Liebt eure Feinde“, hat Jesu gesagt. Ich hatte mal einen Feind, so einen richtig dollen Feind - bei dem hat sich alles Mögliche in mir geregt, nur keine Liebe. Da will man gar nicht mehr runter von dem Karussell, das sich immer um die gleichen Geschichten dreht... Lieber zieht man andere mit rauf, die einem Recht geben und bestärken.   

Erst im Nachhinein habe ich gesehen, wie viele Energien so eine Feindschaft aufgefressen hat. Mein Feind war allgegenwärtig. Hat jede Nische meiner Aufmerksamkeit besetzt. Das war nicht gut für mich.
Was hätte mir geholfen?

Natürlich hätte mir nicht geholfen, wenn mir einer mit Jesus gekommen wäre:
„Du sollst doch deine Feinde lieben“. Mit einem Bibelspruch abgespeist zu werden, das hätte mich nur noch wütender gemacht. Ich hätte jemand gebraucht, der nach meinen eigentlichen Schwierigkeiten fragt, und dem tieferen Schmerz. Denn darum geht ja es wirklich.

Hass und Wut sind ja nur wilde Ablenkungsmanöver von einem Schmerz, der kaum auszuhalten ist. Zum Beispiel der Schmerz, nicht gesehen zu werden; nicht gewürdigt, nicht gehört, nicht verstanden - und einfach übergangen…

Das zu fühlen mag ich nicht. Damit muss ich mich vielleicht erst mal vertraut machen. Aber wenn das geschieht: wenn ich es zulasse, es zu fühlen; wenn ich den Schmerz erst einmal ansehe, ihn würdige und annehme, dann ändert sich was. - Das fühlt sich dann nicht unbedingt gleich großartig an… Aber vielleicht wahrhaftiger; mit mir selber mehr im Reinen.

 „Liebt eure Feinde“, hat Jesu gesagt. Vielleicht wollte er uns damit auch sagen: „Ändert euren Blickwinkel. Schaut hinter die abstoßende Fassade. Dahinter verbirgt sich womöglich ein ganz ängstlicher und verwundeter Mensch.“

Es ändert eine Menge, wenn man aufhört, den Feind nach seiner Fassade zu beurteilen. Und danach fragt: Wie sieht es wohl dahinter aus? Was verbirgt sich hinter der Grobheit?

- Kann sein, dass man ihn plötzlich mit anderen Augen sieht; und einem vielleicht sogar ein paar gute Eigenschaften auffallen. Mein Feind z.B. war überaus zuverlässig und pünktlich.
Hinter die Fassade blicken, auch die eigene - vielleicht ist das ja der Anfang aller Liebe…?

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