SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Wenn die da schweigen, dann werden die Steine schreien!“ Das hat Jesus gesagt, als er in Jerusalem eingezogen ist. Heute am Palmsonntag erzählen sich Christen diese Geschichte.

Die ganze Stadt war damals auf den Beinen, um Jesus zu sehen. Auf einem jungen Esel kam er geritten. Die Menschen haben am Straßenrand gestanden. Mit Palmzweigen in der Hand haben sie Jesus begrüßt. Deswegen heißt dieser Sonntag „Palmsonntag“. Und viele haben außerdem ihre Kleider auf den Weg geworfen, damit Jesus darüber reiten konnte. Und dann haben sie alle gerufen: Gelobt sei der König!

Ein richtiger Triumphzug! Kleines Problem: Jesus war überhaupt kein König. Schlimmer noch: Die Römer, die damals das Land Israel besetzt hielten – die wollten auch keinen König! Stattdessen hatten sie einen Statthalter eingesetzt. Sein Name ist heute noch bekannt: Pontius Pilatus. Mit eiserner Faust hat er das Land regiert.

Als die Leute Jesus in Jerusalem willkommen geheißen haben, war das also im Grunde eine Demonstration gegen den Gewaltherrscher. Das erinnert mich an Syrien. Präsident Assad bombt lieber das ganze Land zusammen als jemand anders an die Macht zu lassen. In vielen Ländern der Welt sieht das nicht viel anders aus. Wer die Macht hat, der gibt sie nicht ab.

Aber: wollte Jesus denn überhaupt König werden? Das ist schon fast egal. Die anderen wollten, dass er es wird. Deshalb haben sie ihm so zugejubelt.

Ein paar von denen, die mit Pilatus gut zusammengearbeitet haben, die konnten das irgendwann nicht mehr hören. „Sag ihnen doch, dass sie aufhören sollen!“, haben sie Jesus aufgefordert. Doch Jesus hat bloß die Schultern gezuckt und geantwortet: „Wenn die da schweigen, dann werden die Steine schreien.“

Keine Woche später, da sind sie alle still. Da hängt Jesus am Kreuz. Pilatus hat gewonnen. Und: Haben da die Steine geschrien?

Wenn ich mir heute die Bilder aus Syrien angucke, die immer wieder durch unsere Nachrichten gehen: Da schreien die Steine! Zerstörte Häuser. Straßen voller Schutt. Dazwischen irren verängstigte, verletzte Menschen herum.

Wir kennen solche Bilder aus Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Da schreien auch die Steine. Sie schreien: Warum? Jetzt ist alles kaputt. Unendlich viele Menschen sind umgekommen oder wurden ermordet. Wir, die Steine, bleiben übrig. Wir gehörten zu schönen, festen Häusern. Jetzt sind wir Trümmer. Grabsteine, wo die Bomben uns hingefegt haben.

Ich sehe die Bilder mit den anklagenden Steinen. Und ich frage mich: Warum hört keiner auf die Menschen am Straßenrand? Die wollen nur gut und in Frieden leben. Die wollen keinen Krieg. Aber sie müssen ihn dann ausbaden. Und nur die Steine schreien noch. Die Menschen schweigen – und die Palmen sind verbrannt.

II

Ich möchte nicht warten, bis nur noch die Steine klagen und protestieren können. Wie viel Hoffnung haben die Menschen damals in Jerusalem auf Jesus gesetzt! Sie kommen ihm entgegen. Sie verlassen ihre Stadt und warten auf der Straße, bis er kommt. „Gelobt sei der König!“ Das war ihre Hoffnung. Ein König, der alles wieder gut macht. Ein gerechter Herrscher, kein grausamer und willkürlicher. Einer, der dafür sorgt, dass alle gut und in Frieden leben können. Dass Angst und Not ein Ende haben.

Jesus wollte gar nicht König sein. Aber die Menschen haben in ihm diesen guten König gesehen. Sie waren so in Not. Das, was sie sich wünschten, das musste einfach Wirklichkeit werden!

Das war in Jerusalem vor 2000 Jahren. Es könnte genauso gut heute in Syrien sein. Oder in Ägypten, in Eritrea, in Afghanistan. In irgendeinem der vielen Länder, aus denen die Flüchtlinge jetzt zu uns kommen. Oder in Deutschland vor 80 oder 100 oder 300 Jahren. Immer wieder hoffen Menschen in ihrer Not auf einen guten König. Und leider nutzen machthungrige Führer und Verführer diese Hoffnung oft aus. Jesus wollte anders sein. Nicht so ein Führer, der sich zujubeln lässt – und am Ende bleibt doch alles, wie es ist. Oder wird noch schlimmer.

Trotzdem hat Jesus den Leuten nicht verboten, ihn als König zu begrüßen. Er hat gespürt, wie es ihnen geht. Er hat sich anrühren lassen. Das erzählen die Geschichten der Bibel immer wieder. Wie Jesus sich anrühren lässt, wenn er die Not der Menschen sieht. Wie er auf sie eingeht. Sich sogar von ihnen verändern lässt. Und so kann sich die Welt verändern. Wenn Menschen aufeinander achten.

Der eine gute König – das ist keine Lösung. Aber ich wünsche mir eine fähige und verantwortungsbewusste Regierung. Und in meinem kleinen Bereich möchte ich mit dafür sorgen, dass es Menschen besser geht. Und vor allem möchte ich andere dazu ermutigen, dass sie sagen, wo sie der Schuh drückt. Damit nicht erst die Steine schreien müssen. Ich wünsche mir, dass wir miteinander sprechen. Aufeinander hören. Aufeinander achten. Uns voneinander anrühren lassen.

Jesus macht mir Mut dazu. Mit seinem sanften Triumphzug unter Palmzweigen. Und Vertrauen, weil Gott offenbar trotz allem immer wieder an uns glaubt. Die Geschichten um Jesus sind nie verstummt. Und nicht die Steine erzählen davon: das tun wir Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21672
weiterlesen...