SWR4 Sonntagsgedanken

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Feiern heißt, sich seiner Wurzeln zu vergewissern

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Karlsruhe. Meine Heimatstadt ist am 17. Juni 300 Jahre alt geworden! Sie feiert das mit über 500 Veranstaltungen; kulturellen, unterhaltsamen und auch einigen zur Geschichte der Stadt. Das ist eine richtig große Sache.

„Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“ (Neh 8,10) Das ist nicht etwa das Motto zum Stadtgeburtstag. Dieser Satz steht in der Bibel, im Buch Nehemia! Oft ruft die Bibel ja dazu auf, enthaltsam zu leben und zu fasten. Es gibt aber auch die andere Seite: Sie lädt dazu ein, Feste zu feiern und das Leben zu genießen. „Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“ Dieser Satz ist an das Volk Israel gerichtet. Israel war lange in Babylon gefangen und darf nun endlich nach Hause. Das Volk ist froh darüber, aber in Jerusalem ist viel zu tun; der Tempel muss neu aufgebaut werden. Zwei Männer tun sich dabei hervor: Esra und Nehemia. Sie motivieren das Volk und helfen dabei, die Ordnung herzustellen. Nach und nach gelingt das auch: Jerusalem blüht wieder auf.
Eines Tages bitten die Menschen Esra, aus der Schrift vorzulesen. Der tut das auch und predigt. Und danach, so überliefert Nehemia weiter, schickt Esra das Volk heim: es soll die Feier weltlich fortsetzen – mit einem Festmahl und süßem Wein.

Feiern hat in der Bibel also zwei Seiten: feiern mit anderen Menschen und mit Gott. Neben Wein und einem guten Essen gehört zu einem Fest auch ein Gottesdienst. In ihm machen sich die Menschen klar, dass sie das, was sie haben, was sie freut und glücklich sein lässt, nicht allein sich selbst verdanken. Sie lesen in den Schriften, erinnern sich an die Väter Abraham, Isaak und Jakob, an wichtige Vorbilder wie Mose und an das, was sie für das Volk getan haben. Dadurch wird ihnen bewusst, wer sie sind, woher sie stammen und wo ihre Wurzeln liegen. Und für Israel hat all das ganz klar etwas mit Gott zu tun. Er steckt hinter allem. Von ihm kommt alles, was heute ist. Sie sind mit ihm verbunden – wie ihre Vorfahren. Daraus lebt Israel, das zeichnet das Volk aus und das feiert es im Gottesdienst.

Wer heute ein Fest feiert, denkt eher selten an Gott oder liest Texte aus der Bibel. Eines aber deckt sich mit dem, was Nehemia überliefert: Feste knüpfen oft an dem an, was Menschen prägt; sie selbst, ihre Familie oder das ganze Volk. Geburtstag, Hochzeitstag oder der Tag der deutschen Einheit zum Beispiel – solche Feste lassen Ereignisse aus der Vergangenheit lebendig werden und zeigen damit auf, woraus einer lebt, was ihn auszeichnet und zu dem macht, was er ist. Sie erinnern daran, was Menschen miteinander verbindet. Und so etwas stärkt und gibt Kraft für das, was kommt.

Das gilt auch für ganze Städte wie Karlsruhe, finde ich. Es freut mich daher, dass die Stadt zum Fest nicht einfach nur, wie Nehemia sagt, ein festliches Mahl hält und süßen Wein trinkt. Sie schaut auch auf ihre Wurzeln und vergewissert sich dessen, was sie ausmacht.

 

Richtig feiern heißt, alle einzubeziehen – auch die Armen

Karlsruhe ist 300 Jahre alt geworden. Die Stadt feiert das mit rund 500 Veranstaltungen. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben überlegt, was ein Fest aus biblischer Sicht ausmacht. Für Nehemia zum Beispiel hat es etwas damit zu tun, sich an seine Wurzeln zu erinnern, daran, was einen prägt und mit anderen verbindet: Personen aus der Vergangenheit zum Beispiel oder auch Gott. Und es hat etwas damit zu tun, ganz weltlich zu feiern. Bei Nehemia heißt es wörtlich: „Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein.“
Er bleibt da aber nicht stehen. Gleich im nächsten Vers schreibt er: „Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben.“ (Neh 8,10) Richtig feiern heißt für ihn, miteinander zu feiern und zwar so, dass alle einbezogen sind und sich mitfreuen können.

Auch andere Bibeltexte betonen das. Jesus Sirach zum Beispiel stellt Benimmregeln auf, wie man sich bei Tisch verhalten soll. Er ist in der Hinsicht so eine Art Knigge des Alten Testaments. Ihm ist es wichtig, dass sich bei Tisch alle gut benehmen und dass keiner zu kurz kommt. Ich muss manchmal schmunzeln, wenn ich seinen Text lese, denn er beschreibt manches so herrlich nüchtern. Da heißt es: „Sorge für deinen Nächsten wie für dich selbst … Sei nicht gierig. … Schlürfe nicht … streck die Hand nicht vor dem Nachbarn aus!“ Jesus Sirach ist das rechte Maß wichtig. Er schreibt: „Schmerz, Schlaflosigkeit ... und Magendrücken hat der törichte Mensch. Gesunden Schlaf hat einer, der den Magen nicht überlädt.“ Und zum Thema Wein meint er: „Spiel nicht den starken Mann! Schon viele hat der Rebensaft zu Fall gebracht … Frohsinn, Wonne und Lust bringt Wein … genügsam getrunken. Kopfweh, Hohn und Schimpf … getrunken in Erregung und Zorn.“ (vgl. Sir 31,12-32,13)

Auch Jesus isst und trinkt gerne mit anderen und lädt Menschen an seinen Tisch ein. Aber nicht etwa die Reichen und Berühmten! Er holt die zusammen, die sonst durchs Raster der Gesellschaft fallen: Zöllner und Sünder zum Beispiel. Er tut damit, was schon Nehemia und Jesus Sirach wichtig war. Auch wenn das damals nicht allen gepasst hat und ihn manche sogar als Säufer und Fresser beschimpft haben. (vgl. Mt 11,19)

Die Verfasser der Bibeltexte wissen also, dass Menschen gerne feiern. Und sie unterstützen das. Allerdings müssen Feste so gestaltet sein, dass sie nicht ausufern oder irgendwen ausgrenzen. Das ist ihnen wichtig. Richtig zu feiern, heißt so zu feiern, dass alle etwas davon haben. Feste gelingen, wenn viele verschiedene Menschen, arme und reiche, einbezogen sind und sich freuen können.

Ich wünsche mir, dass das am Geburtstag meiner Heimatstadt gelingt und dass Karlsruhe mit den vielen Veranstaltungen auch die im Blick hat, die sonst durchs Raster fallen.
In diesem Sinne also: Alles Gute, Karlsruhe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20361
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