SWR4 Sonntagsgedanken

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Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. (Mt 12,34)

Heute gehen die Katholiken im ganzen Land auf die Straße. Mit Fahnen und Lautsprechern ziehen sie um die Häuser. Offiziell heißt das Fronleichnam. Doch viele sprechen auch von „Katholendemos“ – zumindest habe ich das schon oft gehört.

„Katholendemo“ – das klingt so, als wollten die Katholiken protestieren, rebellieren oder sich von etwas abgrenzen; von anderen Konfessionen vielleicht. Das meint das Wort für mich aber nicht. Demonstranten sind zunächst einmal Leute, denen etwas besonders wichtig ist, so wichtig, dass sie dafür auf die Straße gehen. Sie demonstrieren öffentlich für das, was sie bewegt. Eben ganz ähnlich wie es die Katholiken an Fronleichnam tun.

Im Matthäus-Evangelium steht: „Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund.“ Und nicht nur der Mund, finde ich! Gerade Fronleichnam ist ein Fest, das alle Sinne anspricht. Das habe ich von klein auf so erlebt: Ich war Ministrant, und Fronleichnam war das einzige Fest, an dem wir Minis Fahrradhandschuhe tragen durften. Auf der Prozession haben wir nämlich bei jedem zweiten Schritt die Schellen geläutet und so den Zug der Gemeinde angekündigt. Wir haben das Weihrauchfass geschwungen und Fahnen getragen. Da waren die Handschuhe wichtig, um an den Händen keine Blasen zu kriegen. Viele Anwohner haben die Straßen mit Bildteppichen geschmückt und biblische Szenen aus Blüten, Kaffeesatz und Sägemehl gelegt. Die Gemeinde hat Lieder gesungen, und manchmal sind am Wegrand Leute neugierig stehen geblieben. Einige von ihnen haben sogar mitgesungen. So kenne ich Fronleichnam: offen und einladend, bunt, melodisch und mit dieser besonderen Weihrauchnote. Ein Fest für alle Sinne eben, an dem die Katholiken raus aus den Kirchen auf die Straßen gehen und zeigen, was sie bewegt, miteinander verbindet und woran sie glauben: Jesus Christus.

Und diesen Christus haben wir mitgetragen: in Form eines kleinen geweihten Brotes in einer sogenannten Monstranz. „Monstranz“ kommt vom lateinischen Wort „monstrare“ und heißt zeigen. Die Monstranz ist eine Art Behältnis, mit dem das geweihte Brot gezeigt wird, Christus, der mit den Menschen auf den Straßen des Lebens unterwegs ist.

Für mich ist Fronleichnam also tatsächlich so eine Art „Katholendemo“. Nicht in dem Sinn, dass ich mich von anderen Konfessionen oder Religionen abgrenze. Für mich geht es darum, zu zeigen, dass mir Christus etwas bedeutet. Natürlich weiß ich auch, dass Christus nicht für jeden so wichtig ist. Manch einer mag von ihm sogar enttäuscht sein und deshalb auch nichts mit Fronleichnam anfangen können. Ich aber habe einen Draht zu ihm, eine Beziehung, die ich nicht nur hinter Kirchenmauern pflege, sondern die mein Leben überall trägt und beeinflusst. Deshalb bin auch ich einer von denen, die nachher raus auf die Straße gehen und demonstrieren.

Fronleichnam fragt nach dem tiefsten Kern meines Glaubens

Ich habe eben in meinen Feiertagsgedanken von den sogenannten „Katholendemos“ erzählt, die heute stattfinden. Die Katholiken zeigen an Fronleichnam, was sie bewegt: Jesus Christus. Sie tragen ihn in der Monstranz als geweihtes Brot mit sich und zeigen damit, dass er Menschen begleitet.

Auch ich werde heute auf die Straße gehen. Und ich sehe jetzt schon die fragenden Gesichter am Wegrand und hinter den Fenstern: In diesem Brot soll Jesus sein? Und er soll Menschen begleiten? Das kann man doch heute nicht mehr ernsthaft glauben! Solche Fragen fordern mich heraus! Ich muss da selber immer wieder neu nach Antworten suchen.
Zwei Spuren habe ich für mich entdeckt:

Die eine führt zurück ins 13. Jahrhundert. Damals lebte Juliana von Lüttich, eine Nonne. Sie soll oft stundenlang zum geweihten Brot, zur Hostie gebetet haben. Brot und Wein werden nach katholischem Glauben im Gottesdienst in Leib und Blut Christi verwandelt. Indem der Priester mit den Worten betet, die Jesus beim letzten Abendmahl gesprochen hat, werden sie neu gedeutet und so von ihrem Wesen her verwandelt. Auch wenn sie äußerlich noch wie Brot und Wein aussehen und schmecken, ist in ihnen Jesus da. Für Juliana war das der Weg, mit Jesus in Kontakt zu treten. Sie hat immer wieder seine Nähe gesucht; das war für sie lebenswichtig. Eines Tages hat sie dann Visionen von einem Mond bekommen, der am Rand einen dunklen Flecken hatte. Sie deutete den Mond auf das Kirchenjahr hin, dem etwas fehlt: ein Fest vom Leib und Blut Christi. So ist letztlich Fronleichnam entstanden.

Aber nicht jeder hat diesen Zugang zu Gott im gewandelten Brot. Vielen Menschen ist Gott näher durch das Gebet. Wer betet, bringt vor Gott, was ihn freut, bedrückt oder belastet. Und wer vor Gott ausspricht, was ihn umtreibt, der kann manchmal klarer sehen, was ihm wichtig ist und was nicht. So kann Gott zu einem Gegenüber werden, zu einem Wegbegleiter, der hilft, das Leben zu ordnen und auf die Reihe zu kriegen.

Gott begleitet die Menschen auf ihrem Weg. Dieser Fronleichnamsgedanke ist für mich genial und ein Grund, nachher selber an der „Katholendemo“ teilzunehmen: Wovon mein Herz voll ist, davon darf ich nicht schweigen – so hat das der Evangelist Matthäus formuliert. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass mich Fronleichnam unglaublich herausfordert – mehr als andere Kirchenfeste. Ich muss mich nämlich nicht zuletzt durch die kritischen Blicke der Leute fragen lassen, ob ich auch wirklich hinter dem stehe, für das ich da demonstriere; ob ich wirklich spüre, dass Gott mich begleitet, und wenn ja, woran ich das festmache.
Und ich muss mich fragen, ob ich wirklich eine Beziehung zu ihm habe, über das Gebet vielleicht, das gewandelte Brot oder über andere Wege? Solche Fragen führen mich dann ganz schnell in den tiefsten Kern meines Glaubens.

Insofern mag das Fronleichnamsfest zwar gut 700 Jahre alt sein – für mich aber ist es aktueller denn je.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19907
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