SWR1 Begegnungen

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Mehr-Generationen-Projekt – Alt und Jung sind beteiligt

Manfred Klein ist Ortvorsteher eines Stadtteils von Merzig im Saarland. Wie alle kleinen Dörfer, kämpft auch Bietzen mit dem Schlagwort „demographischer Wandel“. In Bietzen bleibt es nicht bei großen Worten. Dort schreitet man zur Tat. 

Irgendwann hab ich mal den Satz gelesen: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, musst du die Sehnsucht nach dem Meer wecken.“ Und ich glaube mit unserem Projekt ist es uns gelungen, die Sehnsucht zu wecken.

Ich treffe Manfred Klein im ehemaligen Pfarrhaus von Bietzen. Es liegt mitten im Ort, direkt neben der stattlichen Kirche. Ein herrlicher Garten verbindet die beiden Gebäude miteinander, der sogenannte Bürgerpark. Das Pfarrhaus spielt für Manfred Klein und seine Mitstreiter eine besondere Rolle. Wo sie früher als Messdiener fast keinen Zutritt hatten, trifft sich heute das ganze Dorf. Das Pfarrhaus ist der Stützpunkt des Vereins `Bietzerberg miteinander füreinander´. Diesen Verein hat Manfred Klein als Reaktion auf die Entwicklungen des demographischen Wandels ins Leben gerufen.

Die Situation ist, dass demographischer Wandel insofern eigentlich als Bedrohung für uns erkennbar wurde, als man uns mit der Begründung des demographischen Wandels die Grundschule geschlossen hat. Insofern kam Demographie erstmals für uns als Schreckgespenst rüber. Und deshalb haben wir uns mal intensiv damit beschäftigt, was bedeutet das? Parallel dazu war allerdings bei uns die Bereitschaft da diese Herausforderung zu sehen und weniger die Angst, die damit verbunden ist.

In Bietzen musste also was passieren.

Insofern brauchen wir einfach auch an der Stelle vielleicht Möglichkeiten: wie können wir denn eigentlich Familie nicht ersetzen, aber ergänzende Systeme heranführen, die dazu beitragen, dass es uns gelingt insgesamt eine lebenswerte Situation zu schaffen?
Ein Freund von mir hat mal gesagt gehabt: Wie verspeist  man eigentlich einen Elefanten? Und die beste Antwort darauf hat er dann selbst mitgeliefert. Das ist indem man ihn in Scheiben schneidet. Wir müssen im Kopf einfach umdenken. Wir müssen sehen, wie kann´s denn passen?

Manfred Klein macht es sich auf der gemütlichen Bank im Pfarrhaus bequem und erzählt von den ersten Schritten des Projektes.

Ja, unser erster Schritt war natürlich mal mit den Menschen zu reden. Wir haben also - heute würde man das Stadtteilgespräche nennen, oder Dorfgespräch gemacht und haben mit den Menschen gesprochen und haben dann überlegt, wie können wir gemeinsam ein Hilfenetz aufbauen.Und da war der erste Lerneffekt für uns, weil - vor allem junge Mütter haben uns gesagt: „Sag mal, ihr denkt nur an das Alter, ihr denkt nur an die Probleme des Altwerdens, aber das Altwerden an sich ist kein Problem. Unser Problem des demographischen Wandels ist ja nicht, dass wir alle älter werden, sondern unser Problem ist, dass die Jungen fehlen.“

So wurde die Idee geboren, ein groß angelegtes Mehr-Generationen-Projekt zu gründen. Basieren sollte es auf gegenseitiger Hilfeleistung. Der Verein `Bietzerberg miteinander füreinander´, der daraufhin entstanden ist, erreicht fast alle Menschen im Dorf. Und was bietet der Verein konkret?

Montags und donnerstags ist bei uns das frühere Pfarrbüro als Bürgerbüro geöffnet. Jeweils in dieser Zeit kann jeder mit allem kommen. Vom Antrag angefangen für die Befreiung von der Müllabfuhr bis hin zu der Frage: „Mir fällt die Decke auf den Kopf, ich brauche jemanden, der mir zuhört. Oder ich trinke nur mal gerne mit jemandem eine Tasse Kaffee.  

„Wer kein Ziel hat, braucht sich wundern, wenn er nichtankommt!“

Von Gartenarbeit über die Begleitung bei Arztbesuchen oder einfach mal ein Stündchen Zeit miteinander verbringen, das alles bietet der Verein `Bietzerberg miteinander füreinander´. Dass dies nötig ist, weiß der Vorsitzende Manfred Klein. Als Ortsvorsteher hat er eine Bedarfserhebung gemacht, die gezeigt hat, wie sehr Hilfe gebraucht wird.

Nur, ist Hilfe annehmen im konkreten Fall gar nicht so einfach.

Da ruft mich ein Mitglied unseres Vereins an, etwas über 80 Jahre, und fragt nach, ob wir sie zum Arzt begleiten könnten. Ich hab das natürlich gleich organisiert. Da sagt sie zu mir, sie muss aber ihren Sohn noch fragen. Zwei Stunden später ruft der Sohn mich an und sagt: „Sag mal, wieso hat denn meine Mutter dich angerufen? Wir haben zwar keine Zeit, aber die hat doch Geld, die kann sich doch ein Taxi leisten.“

Manfred Klein wünscht sich, dass es auf Dauer ganz normal wird, eine Hilfeleistung anzunehmen. Die Hemmschwelle ist aber hoch, weil die Hilfe nichts kostet. Also führt der Verein künftig ein Punktesystem ein. Dabei ist jede Hilfeleistung zwei Punkte wert. Ich habe beispielsweise vier Punkte und bitte dafür jemanden zweimal mit mir einkaufen zu fahren. Die Punkte können gekauft, verschenkt und sogar vererbt werden.

Dieses Punktesystem ist eine Reaktion darauf, dass wir feststellen, dass es zur Würde des Menschen dazugehört, dass er für eine Leistung, die er erhält auch etwas bezahlen darf.

Manfred Klein ist ein Mann, der sehr viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Und das obwohl er neben seinem Beruf ehrenamtlich vielfältig eingebunden ist. Seine Initiativen und Ideen finde ich klasse. Sie bringen ihn selbst, seine Mitbürger und vor allem das Dorf weiter.

Ich will aber schon wissen, wie er das alles unter einen Hut bringt. 

Also, ich kann sie deshalb unter einen Hut bringen, weil ich im Zweifelsfall einen Zeitnehmer habe. Meine Frau organisiert mich eigentlich rundrum. Ich muss sagen, was ein Riesenproblem für mich darstellt, ist das Halten von sozialen Kontakten. Und das sind die Dinge, die nimmt meine Frau mir aus dem Kreuz und das entlastet enorm.

Manfred Klein ist aktiver katholischer Christ. Auch daher nimmt er die Kraft und die Motivation für sein vielfältiges Engagement.

Ich komme aus einem christlich geprägten, sehr politischen Elternhaus. Bei uns ist immer viel diskutiert worden. Und für mich war es immer die Frage: möchte ich eigentlich am Rande stehen und meckern oder möchte ich einen Beitrag leisten um es tatsächlich besser zu tun? Ich hab mich bemüht auf den Weg zu gehen. Wer sich kein Ziel setzt, darf sich nicht wundern, wenn er nie ankommt.

Im Alter kann sich Manfred Klein durchaus vorstellen, Leistungen des Vereins in Anspruch zu nehmen. Zum Beispiel gibt es regelmäßig ein gemeinsames Frühstück und einen literarischen Stammtisch. Er freut sich schon darauf, dafür Zeit zu haben.

Vorerst gibt es aber noch viel zu tun. Bis hierher ist er ganz zufrieden mit dem, was sie in Bietzen geschafft haben. Miteinander und füreinander.

Das ist wie so ein Räderwerk der Beziehungen. Man muss miteinander kommunizieren. So passiert natürlich dann so ein Werk, dass man am Ende sagt: eigentlich doch ganz gelungen.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18108
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