SWR4 Sonntagsgedanken

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Tulpensonntag, Rosenmontag, Veilchendienstag – so nennt man im Rheinland die wichtigsten Karnevalstage. Das sind doch mal schöne Namen! Vor allem jetzt Anfang März, wo in unseren Gärten von Tulpen und Rosen noch lange nichts zu sehen ist. Und ich denke mir: Wenn sich jetzt die Menschen verkleiden – warum dann nicht auch die Tage?
Verkleiden: Das hat mir als Kind immer großen Spaß gemacht, nicht nur am Karneval. Aber wenn ich dann mein Old Shatterhand-Kostüm anzog und mein Spielzeuggewehr in die Hand nahm, dann war ich nicht mehr Christian, sondern der große Wildwest-Held höchstpersönlich! Man musste sich schon vor mir in Acht nehmen!
Jetzt bin ich erwachsen. Als was sollte ich mich jetzt verkleiden? Ich weiß, wer ich bin, mit allen guten und schlechten Seiten. Ja, manchmal möchte ich mich gerne verstecken. Da reicht vielleicht nicht einmal ein Kostüm. Da müsste es schon eine Tarnkappe sein. Damit niemand sieht, wie es mir geht. Wie mir gerade der Boden unter den Füßen wegrutscht. Aber ich bin kein Kind mehr. Ich weiß heute: Die Probleme bleiben da. Auch wenn die anderen sie nicht mehr sehen. Auch wenn ich selber nicht hingucken will.
Aber heute, an diesem Tulpensonntag, da habe ich eine bessere Idee, als mich zu verkleiden! Denn dieser Sonntag hat für mich noch einen anderen Namen. Die Tulpen – die sind eine hübsche Verkleidung. Aber die blühen jetzt ja noch nicht. Bei uns Evangelischen heißt dieser Sonntag Estomihi. Das ist Latein – obwohl wir es sonst nicht so damit haben. Esto mihi – das heißt auf Deutsch: Sei mir. Diese Worte kommen aus einem Psalm, einem Gebet aus der Bibel. Da heißt es: "Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest."
Gott ist ein starker Fels für mich. Und eine Burg. Das passt eigentlich gar nicht zu diesen Tagen, wo es die Menschen aus ihren Häuserburgen raus auf die Straßen zieht.
Aber trotzdem – vielleicht kennen Sie dieses Gefühl auch: Dass man den Boden unter den Füßen verliert. Dass man sich fühlt, als ob man auf Treibsand steht. Oder auf sumpfigem Gelände. Offenbar ist es dem Menschen auch so gegangen, der vor ein paar tausend Jahren diesen Psalm gebetet und aufgeschrieben hat. Zieh mich aus dem Netz! bittet er Gott. Die anderen wollen mir ans Leben! Ich kann nicht mehr. Sei mir ein starker Fels, sei meine Burg und hilf mir!
Wenn bei mir selber nichts mehr geht – dann brauche ich so eine Stütze von außen. Und wenn es keinen Menschen mehr gibt, auf den ich mich stützen kann, dann rufe ich zu Gott. Von Gott wünsche ich mir Kraft, wenn ich eigentlich schon gar nicht mehr kann. Wenn ich diese Kraft fühle, dann brauche ich mich nicht mehr zu verkleiden. Nicht als Old Shatterhand – und nicht als Narr, der lacht, obwohl er weinen muss.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Viele feiern Karneval, damit sie für ein paar Tage an all das andere nicht denken müssen. Mal Fünfe gerade sein lassen! Aschermittwoch wird's noch früh genug – und dann hat der graue Alltag uns wieder! Aber eigentlich löst das das Problem nicht.
"Sei mir ein starker Fels!", bittet der Psalmbeter Gott. Ich denke an Menschen, die sich genau das wünschen: einen starken festen Boden unter ihren Füßen. Der Beter erzählt von Feinden, die ihn verfolgen. Das ist wie im Fernsehkrimi. Da fragt der Kommissar ja auch immer die Angehörigen eines Ermordeten: "Hatte Ihr Mann Feinde?"
Wahrscheinlich kann man gar nicht durchs Leben gehen, ohne sich Feinde zu machen. Hab ich es immer in der Hand, ob sich jemand über mich ärgert? Oder neidisch oder eifersüchtig auf mich ist? Da hab ich vielleicht Feinde, von denen ich selber gar nichts weiß!
Ja, und manchmal denke ich: Mein schlimmster Feind, das bin ich selbst! Nicht nur, dass ich mich zuweilen ohrfeigen könnte für etwas, das ich gesagt oder getan habe. Wie oft stehe ich mir selbst im Weg! Dann könnte ich aus der Haut fahren! Aber: eben das geht nicht. Ich werde kein anderer als ich bin. Ich muss mich selber schon annehmen, so wie ich bin. Mit all dem, was nicht so toll ist.
Und das gilt schließlich auch für eine letzte Sorte Feinde: Das sind Feinde im übertragenen Sinn. Zum Beispiel eine schwere Krankheit, die einer in sich trägt. Oder Sorgen und Ängste, die immer wieder kommen – sogar, wenn sie vielleicht unbegründet sind.
Das sind dann wirklich Situationen, wo einem der Boden unter den Füßen wegrutscht! Dann einen festen Felsen unter den Füßen haben, wo ich stehen kann, was mir auch zusetzt! Wo ich selbst mit einer schweren Krankheit stehen kann. "Du übergibst mich nicht in die Hände des Feindes", heißt es etwas später in diesem Psalm, diesem Gebet aus der Bibel. "Du stellst meine Füße auf weiten Raum."
Das stelle ich mir jetzt richtig vor: Die Füße fest auf dem Boden, ein bisschen auseinander, ohne Angst stehen. Der Raum ist weit und der Boden fest. Ich darf da so stehen, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen und verkleiden. Alle dürfen sehen, dass ich da stehe und wie ich bin! Ich brauche nicht mehr zu kämpfen. Aber ich muss mich auch nicht einfach besiegen lassen. Selbst wenn meine Feinde stärker sind: Ich habe etwas in mir, das der stärkste Feind nicht zerstören kann! Das ist die Zuversicht, dass Gott es gut mit mir meint, was immer passieren wird.
Bloß, leider habe ich diese Zuversicht auch nicht immer! Manchmal sind die Zweifel stärker und dann haben meine Feinde leichtes Spiel mit mir. Dann muss ich mich an die Zuversicht erinnern lassen. Zum Beispiel heute, an diesem Sonntag Estomihi: "Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest."

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