SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Hannah ist Konfirmandin. Am nächsten Sonntag wird sie konfirmiert. Ein Jahr lang hat sie mit den anderen Konfirmanden im Unterricht gelernt, was evangelischer Glaube ist und was man damit anfangen kann. Manchmal war das mühsam für sie. Vielleicht, weil der Unterricht für sie zu sehr nach Schule geschmeckt hat.
Aber auf einmal wurde das anders. Und zwar, nachdem mir Hanna vor einiger Zeit eine E-Mail geschrieben hat. Sie hat mich gefragt, ob sie in der Kirchengemeinde ein Praktikum machen könne. Ihre Schule ermöglicht es, dass Jungs und Mädchen Berufserfahrungen machen können und vor allem auch Arbeitsfelder kennen lernen, die ihnen vorher eher fremd sind.
In einer Kirchengemeinde mitzuarbeiten, gehört nicht unbedingt zu den beliebtesten beruflichen Tätigkeiten für junge Menschen. Deshalb finde ich die Aktion gut. Denn sie lädt Jugendliche dazu ein, sich Gedanken über ihre eigene Zukunft zu machen, über ihre eigenen Interessen, aber auch über ihre Sehnsüchte und Hoffnungen. Für viele von ihnen ist das eine gute Gelegenheit, für einen Tag aus der Schule auszubrechen, mal etwas ganz anderes zu machen und so einen Eindruck von der Arbeitswelt zu bekommen. Am Ende dieses Tages mag sich der eine oder die andere fragen: Wäre das etwas für mich?
Dass Hannah einen Blick in das Leben und die Arbeit einer Kirchengemeinde werfen wollte, ist eigentlich ziemlich ungewöhnlich. Viele sagen ja, Jugendliche wie Hannah hätten kein Interesse an sozialem Engagement, an der Mitarbeit in kirchlichen Gruppen und Kreisen und erst recht nicht an Fragen der Religion und des Glaubens. Über ihre Anfrage habe ich mich umso mehr gefreut. Und so habe ich zugesagt und sie mitgenommen: zu den Treffen der Frauenhilfe, zu einer Schweigemeditation und zu einer Sitzung des Kirchen-vorstandes. Auch bei Geburtstagsbesuchen und Gesprächen mit Menschen aus der Gemeinde war sie dabei. Sie hat aber nicht nur da gesessen und sich geduldig alles angehört, sondern auch mitgemacht: Fragen gestellt, anderen Menschen von sich und ihren Interessen erzählt, mit gesungen und mit gebetet. Offensichtlich hat sie gemerkt: Ich kann ja eigentlich mehr als ich dachte. Das hat sie stolz gemacht. Ihre anfänglichen Ängste und Zweifel, die hatte sie ganz schnell abgelegt.
Als wir uns am Ende über ihr Praktikum in unserer Kirchengemeinde unterhalten haben, da habe ich gespürt, dass sie vorher ganz andere Vorstellungen und Erwartungen hatte. Hanna hat gesagt: „Ich dachte immer, der Pfarrer hält sonntags den Gottesdienst und macht Beerdigungen und so. Ich wusste gar nicht, dass da noch so viel anderes dazu kommt. Da muss man ja manchmal echt überlegen, wie man die Leute trösten kann. Und dass der Glaube für manche Menschen so wichtig ist, hat mich auch überrascht."

Hannah hat an diesem Tag in unserer Kirchengemeinde viel erlebt. Sie war engagiert und interessiert. Und die Reaktionen der Gemeindeglieder waren sehr positiv. Der Tag mit Hannah hat allen gezeigt, dass Jugendliche - auf der Suche sind und viele Fragen haben. Sie sind auf der Suche nach einer eigenen Identität und auf der Suche nach Vorbildern, die ihnen bei der Identitätsfindung behilflich sein können.
Ich glaube, dass das schon immer so war. Sogar Jesus...ging es so. Als er im Alter von 12 Jahren im Tempel von Jerusalem mit erwachsenen Gelehrten diskutiert hat, da hat das seine Zuhörer sehr verunsichert. Dass dieser Knirps Erwachsenen Fragen stellt und auch noch Antworten gibt! Und dann auch noch in Fragen der Religion und des Glaubens!! Das gehörte sich damals nicht. Aber Jesus ließ sich von solchen Reaktion nicht beeindrucken. Er ließ nicht locker, bis die Erwachsenen ihm zugehört haben und sein Wissensdurst gestillt war.
Mir sagt diese Geschichte: Die Fragen der Jugendlichen fordern uns Erwachsene heraus. Auch mich persönlich. Sie zwingen mich, bestimmte Dinge neu zu überdenken und so zu formulieren, dass die Jugendlichen damit etwas anfangen können.  Denn mit allgemeinen Wahrheiten und Sätzen aus dem Lehrbuch geben sie sich nicht zufrieden. Was der Glaube mit ihrem Leben zu tun hat, wollen sie wissen. Sonst interessiert sie das nicht, was ich ihnen sage.
Mit Jugendlichen über ihr Leben, aber auch über Religion, Kirche und Glauben ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren, ist eine spannende und wichtige Aufgabe für uns erwachsene Christen.
Am Ende Ihres Praktikums hat Hannah manches von dem, was sie vorher dachte, revidiert. Manch anderes ist neu dazu gekommen. In jedem Fall hat sie sich der Herausforderung gestellt und hat so an Erfahrung gewonnen.
Wenn Hanna und die anderen in einer Woche konfirmiert werden, dann ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg ins eigene Leben.  An uns Erwachsenen ist es, sie und alle anderen Jugendlichen nicht allein zu lassen. Eltern und Großeltern wissen, wie anstrengend Jugendliche manchmal sind. Trotzdem: Begleiten Sie sie weiter! Stellen Sie sich dieser Herausforderung! Geben Sie etwas von Ihren eigenen Glaubens- und Lebenserfahrungen weiter, ohne sie zu belehren oder zu bevormunden. Wichtig ist, mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Jugendliche wie Hannah sind interessiert und gar nicht so schwierig, wie wir manchmal denken. Wenn Ihre Kinder oder Enkel heute am Muttertag den Frühstückstisch decken oder ihre Mütter, mit Blumen und kleinen Geschenken überraschen, dann zeigen sie: Es tut uns gut, mit euch Erwachsenen im Gespräch zu bleiben.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12998
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