SWR2 Wort zum Tag

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Wie oft muss ich denn vergeben, fragt Petrus. Und dann greift er hoch und fügt hinzu: Genügt es siebenmal? Jesu Antwort ist schockierend: Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal! Das heißt natürlich: Ohne dass du Buch führst über dein Verzeihen, immer! – Wie soll man das verstehen? Vor allem: Wie soll man es leben? Ist das nicht eine der Forderungen, die niemand erfüllen kann – und die den Zugang zum christlichen Glauben auch schwer machen, weil sie unrealistisch sind und dann das Christentum illusionär erscheinen lassen? Auch überzeugte Christen fallen nicht immer durch große Vergebungsbereitschaft auf. Auch sie streiten, ziehen manchmal sachliche Gegensätze ins Persönliche und brechen bisher selbstverständliche Beziehungen zu einander unversöhnlich ab. Man erlebt es immer wieder – bei sich selbst und bei anderen: Es ist elend schwer, Menschen, die einem Probleme machen, zu akzeptieren und ihnen, wo nötig, die Hand zu reichen und zu vergeben.
Wie kann Jesus seine radikale Forderung nach einer unbegrenzten Vergebungsbereitschaft gemeint haben? Jedenfalls nicht so, dass Unrecht unter den Teppich gekehrt wird und dort unbewältigt liegen bleibt. Nicht so, dass man um des lieben Friedens willen, aber im Grunde aus Bequemlichkeit, Konflikte vermeidet und, was falsch oder verletzend war, nicht beim Namen nennt. Eine Regel Jesu für das Zusammenleben lautet: Wenn dein Bruder Unrecht tut, weise ihn zurecht; und wenn er bereut, vergib ihm. Und dann folgt der Satz: Und wenn er dir siebenmal am Tag Unrecht tun würde und siebenmal wieder zu dir käme und spräche: Es reut mich!, sollst du ihm vergeben. Das ist noch einmal viel verlangt. Aber über Unrecht soll geredet werden – mit dem, der es getan hat. Und Vergebung setzt Reue voraus, das Eingeständnis: Ja, es war falsch, und es tut mir leid! Dann aber soll ein Neuanfang wirklich möglich sein! Dann soll nicht gerechnet werden, wie oft das Verzeihen schon nötig war. Dann gilt es uneingeschränkt, den Neuanfang zu wagen! - Das bleibt schwer. Oft nehmen ja Menschen, die zerstritten sind, ja auch ganz unterschiedlich wahr, was geschehen ist. Manchmal macht es auch die Art der „Zurechtweisung“ fast unmöglich, eigene Fehler zuzugeben. Aber wie sollen Menschen, wie sollen auch Christen im Frieden zusammenleben, wenn sie der Herausforderung Jesu nicht immer wieder entsprechen? Sind sie nicht alle selbst auf Vergebung angewiesen – immer wieder, unbegrenzt? Ist also erfahrene Vergebung nicht der Grund, nun auch selbst zu vergeben? Sie hilft, neue Anfänge miteinander zu wagen! Vergebung empfangen und vergeben – das gehört zusammen. Darum heißt es im Vaterunser: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

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