SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Haben Sie kein Erbarmen. Schneiden Sie alles Verblühte ab. Dann kommt das Neue umso besser, sagt Schwester Philomena und drückt mir eine Gartenschere in die Hand.
Kein Erbarmen,
kein Aufschieben,
kein Selbstmitleid also.
Kein Schonen, so wie wir es sonst von der Bibel her kennen.
Die Bibel preist ja die Geduld als wunderbare Tugend, wenn sie sagt: ein Geduldiger ist besser als ein Starker.
Oder wenn sie von Jesus erzählt, dass er einmal für einen Feigenbaum Partei ergreift. Der soll raus, weil er keine ordentlichen Früchte bringt. Und Jesus sagt dem Gärtner im Gleichnis: Gib ihm noch ein Jahr, also: schenk ihm noch etwas Geduld.
Schwester Philomenas Rat ist anders: Loslassen, damit das Neue kommen kann. Sich trennen von dem, was seine Zeit gehabt hat. Das wird mir bei der Gartenarbeit während meiner Tage im Kloster mit Händen greifbar.
Blüten abschneiden soll ich. Blüten, die verwelkt sind.
Sie hatten ihre Zeit. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt, ihre Bewunderung genossen.
Jetzt müssen sie weg. Denn dann kommt das Neue umso besser.
Wo sind die Blüten, von denen ich mich trennen muss in meinem Leben? frage ich mich.
Die Erfolge, die Höhepunkte, das Schöne. Aber eben doch Blüten, die verwelkt sind.
Ich muss sie abschneiden, damit das Neue kommen kann.
Lasst die Toten ihre Toten begraben, sagt Jesus einmal, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes. Wende dich der Gegenwart zu, dem Leben heute und schau, was jetzt dran ist, was Gott jetzt in dein Leben legt an Gaben und Aufgaben.
Das klingt vielleicht beim ersten Hören kalt und herzlos – besonders für Menschen, die traurig sind, weil sie eine geliebte Freundin, einen Partner hergeben mussten, mit dem oder der sie noch so gerne ein Stück weitergegangen wären.
Es ist aber beim zweiten Hören ein recht nüchternes und hilfreiches Wort. Es meint: Orientiere dich nicht nach rückwärts. Was gewesen ist, ist vorbei, du darfst es in guter Erinnerung bewahren, du darfst dankbar sein für die Blüten und Früchte, die im Garten deines Lebens gewachsen sind, aber sie sollen dich nicht vom Heute abhalten. Frage dich: was ist jetzt dran? Was will noch wachsen und reifen - vielleicht sogar zur späten Blüte sich entfalten.
Wie jetzt im November blühen manchmal noch Rosen - selbst unter dem Frost - und wir freuen uns daran.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=26
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