SWR1 3vor8

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Blinde sehen – Markus 10,46-52
30. Sonntag im Jahreskreis B

„Ich bin überrascht, wie bei Ihnen die Sehkraft in kurzer Zeit stark nachgelassen hat“ – das sagte der Augenarzt zu mir. Lesen und Schreiben, in die Nähe sehen, das ist mir immer schwerer gefallen und beim Gehen hat es mich verunsichert. Dank moderner Medizin kann ich nach zwei Operationen wieder gut sehen. Dafür bin ich sehr dankbar, den Ärzten und Gott. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre ich zumindest auf einem Auge blind gewesen. Und ich lebe in einem Land, in der die beste medizinische Versorgung selbstverständlich ist. Was da heute – zumal in einer Universitäts-Augenklinik – erreicht wird, damit Menschen wieder sehen können – das grenzt an Wunder. Ein Wunder in der Bibel sehe ich seitdem mit anderen Augen. Das Markus Evangelium berichtet davon. Es wird heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Vom blinden Bettler Bartimäus wird erzählt. Mit letzter Kraftanstrengung und allen, die ihn daran hindern wollten, zum Trotz, versucht er, an Jesus heranzukommen. Wenn ihm einer helfen kann, dann: Jesus. Ihm zu begegnen, darin sieht er die Chance seines Lebens, wieder sehen zu können. Und so geschieht es. Bartimäus kann wieder sehen. Aber nicht nur das. Er ist ein anderer Mensch geworden. Sein ganzes Leben sieht er neu. Es heißt, dass er bei Jesus geblieben und sein Jünger geworden ist. Mich bewegt diese Geschichte heute anders als früher. Ich kann besser mitfühlen, denke ich an die sehbehinderten und blinden Menschen, die in den Armenhäusern der Welt keine Chance haben, geheilt zu werden. Es fehlt dort an den medizinischen Voraussetzungen oder sie haben kein Geld, um Ärzte und Operationen zu bezahlen. Und ich denke an die Blinden hier, die blind geboren oder für immer erblindet sind. Ich möchte von ihnen lernen, in meinem Innern mehr und tiefer wahrzunehmen: „Manchmal muss ich als Sehender die Augen schließen, um besser sehen zu können.“ Auch wenn es Menschen gibt, für die Blindsein endgültig ist, so muss das nicht ihr ganzes Wesen und ihre Existenz ausmachen. Ich wünsche ihnen, dass sie über die Welt und die alltägliche Wirklichkeit hinaus schauen können. Und ich halte auch das für möglich: Wer nie das Licht der Welt gesehen hat – der kann vielleicht tief innen ein großes Licht schauen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=213
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