SWR4 Abendgedanken BW

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30OKT2006
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Bibel

von

„Die Bibel ist ein ehrliches Buch. Und wer fromme Sprüche erwartet, der wird, wenn er sie liest, eher vom Glauben abfallen als ihn zu vertiefen!“ Das hat mir ein Freund gesagt, der gar nicht begeistert war , dass ich Theologie studieren wollte. Er fand mich wohl zu naiv mit meinem Interesse an der Theologie und daran, ob die Bibel denn nun „recht“ hat. Dieser besorgte Ratgeber war ein Priester – einer, der die Höhen und Tiefen des Lebens kennt und weiß, wovon er spricht. Er hat mich damit nicht abgeschreckt, sondern noch neugieriger gemacht.
„Die Bibel ist ein ehrliches Buch“ – inzwischen weiß ich, dass er Recht hat. Hochs und Tiefs, Schatten und Licht des Lebens finden sich da. Im Alten Testament, dem ersten Teil der Heiligen Schrift, geht es um Eifersucht und Machtkämpfe, um Ehebruch und Eroberung. Das Neue Testament beginnt gleich mit dem Mord an vielen Kindern und erzählt davon, wie schwierig der Alltag war zur Zeit Jesu.– und welche turbulenten Erfahrungen die ersten Jünger gemacht haben.
Die wichtigen Ereignisse im Leben des jüdischen Volkes und später der ersten Christen wurden weitererzählt – da stand niemand mit einer Kamera daneben und hat dokumentiert. Und mit diesen mündlichen Überlieferungen wurde eine Botschaft transportiert, nämlich der Glaube, dass unsere menschliche Geschichte zugleich Heilsgeschichte ist, Geschichte mit Gott. Die Bibel ist eine reichhaltige Bibliothek mit Zeugnissen von Menschen, die mit Gott etwas erlebt haben, die mit ihm gehadert haben, die unglücklich waren, und die doch ihren Weg mit Gott immer weiter gegangen sind. Genauso finden wir in der Bibel Gebete und Lieder, die Gott loben, wie z.B, die Psalmen. Und Jesus, der aus dem jüdischen Volk hervorgeht, bringt uns eine neue Botschaft von Gott. Er spricht von ihm wie wir uns einen „guten Vater“ vorstellen. An Jesus selbst wird eine Macht deutlich, die von Gott kommt und von der die Menschen erst nicht wissen, was sie davon halten sollen. Jaaaa- die Bibel ist ein ehrliches Buch. Deshalb sagt sie uns auch heute etwas. So manche Lebenserfahrung, die die Menschen damals bewegt hat, kennen wir genauso. Dass wir mit Gott hadern und uns zutiefst verlassen vorkommen. Oder dass uns das Herz überläuft, wenn wir glücklich sind. Nur sind wir es nicht mehr gewöhnt, hinter die Dinge zu schauen und unser Leben als ein Leben mit Gott zu verstehen.
Die Bibel ist aus unserer Kultur – auch aus unserer Sprache - nicht mehr wegzudenken und sie hätte es verdient, neu entdeckt zu werden. Dazu möchte ich Ihnen eine Anekdote von einem Pfarrer und einem Rabbiner erzählen: Ein Pfarrer und ein Rabbi teilen sich ein Doppelzimmer in einem Hotel. Beim Zubettgehen entschuldigt sich der Pfarrer und erklärt „Ich würde gerne noch ein wenig in der Bibel lesen. Ohne eine halbe Stunde in der Bibel zu lesen kann ich nämlich nicht einschlafen“, worauf der Rabbi ihm erwidert: „Seltsam, wenn ich eine halbe Stunde in der Bibel gelesen habe, dann kann ich nicht mehr schlafen.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=206
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