Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Die Propheten sind die Querdenker der Bibel. Sie machen den Mund auf, sie mischen sich ein – selbst wenn es dem König nicht passt. Konflikte sind da vorprogrammiert. So erging es auch dem Propheten Jeremia, als er mitten im Krieg den Jerusalemer Bürgern riet, sich dem Feind zu ergeben. Mehr noch: Er verkündete Gottes Botschaft, dass jeder, der dennoch in der Stadt bleibt, sterben werde. Für die führenden Beamten grenzte das an Hochverrat. Das konnten sie nicht dulden. Sie setzten beim König durch, dass Jeremia gefangen genommen und in eine verschlammte Zisterne geworfen wurde.
Jeremia drohte im Schlamm zu versinken und darin umzukommen, wenn nicht – ja wenn nicht ein Fremder, ein völlig Unbeteiligter sich für ihn eingesetzt hätte: Ein Äthiopier, der im königli-chen Palast angestellt war. Er hörte von der Bestrafung Jeremias, fasste sich ein Herz und suchte den König auf. Der sprach gerade am Stadttor Recht. Eine günstige Situation für den Äthiopier. Und tatsächlich: Der König erkannte das Unrecht der Gefangennahme und befahl dem Äthiopier, Jeremia wieder aus der Zisterne zu befreien.
Für Jeremia kam diese Rettung wie aus heiterem Himmel. Ausgerechnet ein Fremder, ein Nicht-Jude steht ihm bei, als alle sich gegen ihn verschworen hatten und ihm scheinbar nie-mand mehr helfen konnte oder wollte.
Für den Leser der Bibel hat dieser Bericht eine eindeutige Botschaft: Mag die Situation noch so verfahren sein, mag die Lage noch so bedrohlich und ausweglos erscheinen – es lohnt den-noch, mit der Hilfe Gottes zu rechnen. Diese Hilfe kommt vielleicht nicht aus der Richtung, aus der man sie sehnsüchtig erwartet. Und sie kommt auch nicht unbedingt von denen, denen man sie berechtigterweise abverlangen dürfte. Sie kommt möglicherweise unerwartet, zum Beispiel von einem Fremden. Bei Jeremias war es ein Äthiopier, ein Mensch aus einem anderen Volk. Einer, der sich von Gott in seinem Gerechtigkeitssinn anrühren ließ und den Einsatz für den Propheten wagte. In anderen Situationen kann es ein anderer sein, der einem aus auswegloser Lage hilft. Und in wieder anderen Situationen sind wir vielleicht selbst diejenigen, die helfen können.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=199
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