SWR3 Gedanken

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Am Brötchenkorb im Supermarkt gilt Selbstbedienung. Einige Leute stehen da und warten geduldig, bis die vor ihnen Stehenden fertig sind. Plötzlich kommt ein hochgewachsener Mann von hinten, greift zwischen den Wartenden hindurch, drängelt die Übrigen zur Seite und bedient sich. Giftige Blicke treffen ihn, doch das scheint ihn nicht zu stören. Er gehört zu jenen Zeitgenossen, die halt immer wissen, wo vorne ist. Dort nämlich, wo sie selbst gerade stehen. Ich begegne ihnen öfter. Auf der Autobahn etwa, wo sie mir bei Tempo 140 auf der Stoßstange kleben, bis ich endlich Platz mache. Beim Elternabend in der Schule, wo sie die Wortführer sind und alles besser wissen. Im beruflichen Alltag, wo sie die übrigen Kollegen wahlweise als nützliches Werkzeug oder mögliches Hindernis für die eigene Karriere wahrnehmen. Gibt ihnen die Realität nicht recht? War nicht schon in der Schule der Vorlauteste derjenige, der die meiste Aufmerksamkeit bekam? Setzt sich der mit den stärksten Ellenbogen nicht früher oder später doch durch? Ist es nicht seit Darwin ein Naturgesetz, dass stets der Stärkste und Leistungsfähigste im Leben vorankommt?
Jener Satz aus der Bibel, nach dem die Ersten einmal die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden, klingt da nicht nur weltfremd, er soll es auch sein. Er geht nämlich davon aus, dass diese Welt mit ihrem Oben und Unten und dem rücksichtslosen Gesetz des Stärkeren nicht das letzte Wort sein wird. Dass auch denen, die im Leben auf der Strecke geblieben oder an die Wand gedrückt worden sind, noch Gerechtigkeit widerfahren wird. In dieser Welt vielleicht eine Utopie. Für die Christen jedoch seit frühester Zeit ein Appell, sich schon hier und jetzt nie mit Ungerechtigkeit und dem vermeintlichen Recht des Stärkeren abzufinden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=189
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