SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Guten Abend, liebe Hörerinnen und Hörer!
„Entdeck den roten Faden deines Lebens“ – so heißt das Leitwort für das „Jahr der Berufung 2007“, zu dem die Diözese Rottenburg Stuttgart einlädt. Ich lade Sie in den Abendgedanken dieser Woche zu einer solchen Spurensuche ein.
Der rote Faden in meinem Leben ... Irgendwann, ehe ich meinen ersten Schrei tat, begann dieser rote Faden. Zwei Menschen, die das Leben miteinander gestalten und weitergeben wollten – eine junge Frau und ein junger Mann, beide damals Anfang dreißig – wurden mir Vater und Mutter, schenkten mir Leben von ihrem Leben. Dass es mich gibt, das verdanke ich ihnen. Mein Äußeres, meine Gesten, die Farbe der Augen und der Haare, der Klang meiner Stimme – vieles erinnert an die Eltern.
Dass ich angenommen, gewollt und geliebt bin – dieses Grundgefühl des Urvertrauens, der Geborgenheit, der Liebe verdanke ich meinen Eltern. Wo ich als Kleinkind Tag und Nacht von ihnen umsorgt werden musste, da haben sie mir das erste Lächeln entlockt. Auf dem Schoss der Mutter habe ich die ersten Worte versucht. An ihrer Hand habe ich mich aufgerichtet und die ersten Schritte getan.
Da gibt es ein Foto, auf dem der Zweijährige in die offenen Arme der Mutter stolpert. Dieses Foto wurde für den Vater gemacht, der irgendwo in Russland Soldat war. Später hat er oft erzählt, dass dieses Foto für ihn ein Hoffnungsbild war: Heim will ich wieder kommen, zurück zur Familie, zur Frau und den Kindern.
Schon wenige Wochen nach Kriegsende kam mein Vater zurück. Jetzt wollte er mich, seinen Jüngsten zum ersten Mal in die Arme schließen. Doch ich, der schnell aus dem Kindergarten geholt worden war, schrie Zeter und Mordio, als mir ein fremder Mann vorgestellt wurde – „Das ist dein Papa“. Und ich rannte davon. Heute im Rückblick denke ich: Was mag da in meinem Vater vorgegangen sein? Enttäuschung, Schmerz, Wut? „Der Krieg hat mir meine Jugend genommen“, sagte er manchmal. Und ich weiß heute, was er damit gemeint hat. Beglückend war für mich zu erleben, wie mein Vater aufgelebt ist, als sein Enkel da war. Da konnte er irgendwie diese Zeit nachholen.
Der rote Faden meines Lebens, geknüpft, von Vater und Mutter – sie haben mir trotz schwerer Zeit das Beste, was sie hatten, als roten Faden in mein Leben eingewoben: Das Gefühl, gewollt und geliebt, bejaht, getragen und beschützt zu sein.

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