Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Warum gibt es soviel Leid auf der Welt?“ „Wie kann ein guter Gott das zulassen?“
Diese Fragen quälen gläubige Menschen zu allen Zeiten. Schon der leidgeprüfte Ijob im Alten Testament haderte deshalb mit Gott.
In der Hölle von Auschwitz – so wird erzählt – saßen in einer Häftlingsbaracke gelehrte jüdische Männer zusammen. Sie hatten sich entschlossen, Gott den Prozess zu machen. Wie konnte er sein Volk so im Stich lassen? Musste er nicht eingreifen angesichts des unaufhörlichen Mordens an den Kindern Israels? Nach Ende der Beweisaufnahme verkünden sie das einhellige Urteil: Gott wird aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen! Nachdem das Urteil gesprochen ist, erhebt sich der Rabbi und spricht: „Kommt, jetzt wollen wir beten.“
Auch gläubige Menschen können dem Leiden keine überzeugende Sinndeutung geben. Aber sie können und dürfen Gott ihr Leid klagen. Das hat mit Unglaube nichts zu tun.
Im Gegenteil: Wer das tut, der widersteht der Versuchung, Gott für abwesend oder gleichgültig zu halten. Auch Jesus betete am Kreuz den Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?“ (Ps 22,2)
Beten in der Verzweiflung ist ein Bekenntnis zur Gegenwart Gottes, auch und gerade in einer Welt, die ihn in ihrem Elend zu widerlegen scheint.
Als Romano Guardini, einer der großen Theologen des 20. Jahrhunderts, sich schwer krank auf seinen Tod vorbereitete, vertraute er sich einem Freund an. „Ich werde“ - so Guardini - „mich beim letzten Gericht nicht nur fragen lassen, sondern auch selber fragen. Und ich hoffe, dass ich dann die wahre Antwort auf die Frage erhalte, die mir kein Buch, kein Glaubenssatz, kein Lehramt und keine Theologie beantworten konnte: Warum, Gott, das Leid der Unschuldigen, diese fürchterlichen Umwege zum Heil ?“

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