SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil I
Am Reformationsfest erinnern sich evangelische Christen, wie es angefangen hat mit ihrer Kirche: mit den 95 Thesen gegen den Ablass. Die hat Martin Luther am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen.
Anlass waren die Geschäfte, die die Kirche damals mit der Todesangst der Menschen gemacht hat: Es war üblich, sich bei der Kirche von seinen Sündenstrafen freizukaufen - sozusagen für Geld sich Punkte im Himmel zu erwerben.
Das war für Martin Luther ein Skandal. Beichte, Vergebung und Neuanfang sind doch kein Geschäft, sondern eine Sache des Gewissens und des Herzens. Das hat Martin Luther den Menschen in seinen 95 Thesen erklärt.
Er wollte keine neue Kirche gründen, sondern die bestehende erneuern – eben reformieren. Er wollte die Kirche wieder zu den Wurzeln des Glaubens führen: Zur Bibel und zu Christus.
Christ sein hieß für Luther frei sein: Zur Freiheit hat uns Christus berufen. Und diese Freiheit kann ich mir nicht kaufen. Die ist ein Geschenk Gottes! Davon war Luther zutiefst überzeugt und dafür kämpfte er.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ – so sagt er es in seiner berühmten Schrift: „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“
„Frei sein“ – das bedeutete für Luther weit mehr als äußere Freiheit, mehr als die Freiheit tun und lassen zu können, was man gerade möchte. Denn so eine Freiheit kann geradewegs in neue Abhängigkeiten führen.
So stark ist kaum einer, dass er allem widerstehen kann, was einen abhängig machen will. Martin Luther hat selbst erfahren: Wirklich frei kann ich nur da sein, wo ich einen Halt habe und mich geborgen weiß.
Auf dem Reichstag in Worms ist er für die Freiheit des Glaubens eingetreten. Er, der kleine Mönch aus Wittenberg, ist den mächtigsten Männern seiner Zeit, dem Papst und dem Kaiser, gegenüber getreten und hat sich auf sein Gewissen berufen: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“
Martin Luther war kein Held, aber er war innerlich stark. Er wusste sich gehalten bei Gott. Und dieser Halt hat ihn frei gemacht, die Wahrheit zu sagen.
So ist es auch heute. Menschen, die sich geliebt und angenommen wissen, die ihre Mitte und ihren Halt im Glauben gefunden haben, die brauchen keine Angst zu haben, dass sie im Leben zu kurz kommen. Denn sie wissen, dass Gott für sie sorgt. Die müssen nicht jeder Mode und Meinung hinterher jagen, denn sie wissen sich angenommen – so wie sie sind – und können sich frei entfalten.
Hans Joachim Eckstein hat die Gedanken Luthers in wenigen Worten auf den Punkt gebracht:
„Wenn ich nicht mehr unter dem Gesetz bin, sondern unter der Gnade, dann kann ich endlich tun und lassen … was Christus will.“ Das ist die Freiheit eines Christenmenschen.

Teil II
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ – so sagt es Martin Luther in seiner Schrift: „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Luther fährt fort: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Das klingt in unseren Ohren befremdlich. Wer will schon „ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ sein? Und wie kann man da noch von Freiheit sprechen?
Freiheit bedeutet für uns heute ja meistens, dass wir gerade niemandem untertan sind, dass wir selbst bestimmen können, was wir denken, sagen und tun möchten.
Und gerade die Freiheit der Rede und der Meinung, die Freiheit der Presse und der Kunst sind hohe Güter unserer Demokratie, die wir verteidigen und uns bewahren sollten.
Und doch birgt das Streben nach Freiheit auch eine Gefahr in sich. Das spüren wir heute in unserer Gesellschaft immer stärker.
Die Gefahr, dass wir nur an uns und an unser Wohlergehen denken und unseren Nächsten aus dem Blick verlieren. „Ich kann machen, was ich will und nehmen, was ich kriegen kann“ – ist das Motto. Freiheit steht immer in der Gefahr, mit Egoismus verwechselt zu werden.
Doch christliche Freiheit hat nichts mit Rücksichtslosigkeit und nur an sich selber denken zu tun. Im Gegenteil.
Wenn ich weiß, dass Gott mich liebt, dann muss ich nicht immer nur dafür sorgen, dass ich gut dastehe. Auch das ist Freiheit. Ich kann für die sorgen, die mich brauchen – auch wenn ich mir davon nichts kaufen kann und kein Ansehen bekomme.
Ich denke da an eine Frau, die ihren kranken Schwiegervater pflegt und rund um die Uhr für ihn da ist – und das schon einige Jahre. Sie weiß sich im Glauben gehalten von Christus, und das gibt ihr die Kraft, andere zu halten, ihnen zu helfen, sie aufzurichten und zu trösten.
Oder ich denke an den Abteilungsleiter, der in seiner Freizeit die Straße vor der Kirche kehrt, weil er die Arbeit sieht, die getan werden muss. Er weiß sich bei Gott angenommen. Darum kann er sogar Arbeiten verrichten, für die andere sich zu schade sind.
Wenn ich im Herzen weiß, dass Gott für mich ist und zu mir steht, dann brauche ich keine Angst zu haben, dass ich im Leben zu kurz komme. Dann kann ich mir die Freiheit nehmen, einen Schritt zurückzutreten, anderen den Vortritt zu lassen und ihnen zu dienen.
So gilt beides: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Und auch das andere: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
An diese Freiheit hat Martin Luther uns Christen erinnert und uns Mut gemacht, in dieser Freiheit zu leben. Deshalb feiern wir in der evangelischen Kirche das Reformationsfest bis heute. https://www.kirche-im-swr.de/?m=114
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